Genetische Untersuchung von befruchteten Eizellen

Es ist uns im Kinderwunschzentrum Döbling ein großes Anliegen, die von uns angebotenen Untersuchungen stets mit größter Sorgfalt auf ihre ethische Vertretbarkeit hin zu prüfen und an die neuesten wissenschaftlichen Daten anzupassen.

Daher vorab einige interessante Fakten zur genetischen Untersuchung von befruchteten Eizellen:

Historische Entwicklung 

In den letzten 15 Jahren entwickelte sich die genetische Untersuchung der befruchteten Eizellen als Zusatzleistung in den IVF-Zentren. Die Zusammenarbeit der Zentren mit genetischen Instituten führte weiters weltweit zu einer Anzahl von Publikationen, die die Vorteile der Untersuchungen für Patientenpaare beschrieben.

Bereits in den 90ern des vorigen Jahrtausends wurde begonnen, die Polkörper, die sich am 1.Tag nach der Befruchtung, quasi als Abfallprodukt, bilden mittels Fluorescenz in situ Hybridisierung (FISH) auf Störungen im Bereich der Chromosomen, deren Fehlentwicklung die häufigste Ursache einer Fehlgeburt sind, zu untersuchen.

Cleavage stage embryo - Trophektodermbiopsie

In weiterer Folge entnahm man, beginnend vor 15 Jahren, dem Embryo am 3. Lebenstag im 6-8 Zellstadium (cleavage stage embryo) 1-2 Zellen, um die genetische Struktur der Zellen zu überprüfen.

Studien zeigten allerdings ernüchternd, dass diese Untersuchungsmethode, vor allem bei den Patientinnen mit höherem Alter, zu einer Verringerung der Schwangerschaftsrate führte. 

Durch die weitere Entwicklung der Untersuchungsmethoden ging man schlussendlich in den letzten 5-10 Jahren dazu über, den Embryonen am 5. Lebenstag 5-7 von 200-300 Zellen (Trophektodermbiopsie) zu entnehmen und sie auf genetische Abnormitäten zu überprüfen. Daraus resultierten unzählige Studien, die zeigten, dass die Schwangerschaftsrate erhöht werden konnte und die Gefahr der Schädigung des Embryos durch die Biopsie verringerten werden konnte.

Kritik an der Trophektodermbiopsie

Trotzdem kamen vermehrt Stimmen auf, die nach der Veröffentlichung von weiteren wissenschaftlichen Publikationen (s.u.) meinten, dass die Ergebnisse der Studien, die die Trophektodermbiopsie als vorteilhaft beschrieben, ungenau, die Interpretation der Autoren falsch und die angewandte Methodik anzuzweifeln seien.

So konnte nachgewiesen werden, dass, obwohl genetisch abnormale Embryonen transferiert wurden, genetisch gesunde Kinder auf die Welt kommen können.

Eine andere Studie beschrieb das Ausmaß dieser so genannten Falsch-Positiv-Rate mit 40%. 

Schlussendlich gab im März 2018 die Amerikanische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ASRM) ein von einem breiten wissenschaftlichen Komitee ausgearbeitete Empfehlung heraus, in der von dem Gebrauch der genetischen Untersuchung von Embryonen auf Aneuploidien (PGT-A) am Tag 5 der Embryonen als Screeningmethode abgeraten wird.

„At present, however, there is insufficient evidence to recommend the routine use of blastocyst biopsy with aneuploidy testing in all infertile patients.“ 

Der Grund dafür sei die mangelnde Qualität der Studien und ebenso deren inadäquaten Schlussfolgerungen.

Polkörperbiopsie

Ungefähr gleichzeitig zu der oben genannten Empfehlung der Amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, die Tag-5-Biopsie nicht als Screeningmethode anzubieten, veröffentlichte die Europäische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ESHRE) eine große Multicenter Studie, die die Ergebnisse der genetischen Untersuchung von befruchteten Eizellen am Tag 1 beschrieben.

Diese genetische Untersuchung wird an beiden Polkörpern, die ca. 17 Stunden nach der Befruchtung mittels ICSI stattfindet, durchgeführt und bringt ein Ergebnis der weiblichen Chromosomen in der befruchteten Eizelle.

Weniger Fehlgeburten durch Polkörperbiopsie

Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass es durch die Auswahl und den Transfer der Zellen, die ein unauffälliges Ergebnis brachten, nicht zu einer Erhöhung der Schwangerschaftsrate kommt, aber die Anzahl der Fehlgeburten signifikant verringert werden konnte.

Fazit: 

Jede Fehlgeburt bedeutet für die Frau bzw. das Patientenpaar eine enorme psychische und physische Belastung. Aus diesem Grund ist die Polkörperbiopsie der befruchteten Eizelle eine Möglichkeit, den Patientenpaaren Leid zu ersparen und wird daher in unserem Kinderwunschinstitut angeboten.

Univ.-Prof. Dr. Stefan Jirecek

 

Quellen:

  • Mastenbroek et.al., Hum Reprod Update, 2011:17(4):454-66
  • Gleicher et al., Fertil Steril 2015; 104:e59, Greco et al., N Engl J Med 2015; 373:2089-90, Mune et al., Fertil Steril 2017; 108; 62-71;e8, Morales et al. Hum Reprod 2016;31:14
  • Paulsen et al. Fertil Steril 2017; 108:228-30
  • Penzias et.al, Fertil Steril 2018; 109:429-436
  • ESTEEM trial, Verpoest et al., Hum Reprod 2018; 33: 1767-1776
  • Patrizio et.al., J Assist Reprod Genet. 2019 Aug;36(8):1599-1607